Heilpraktikerin


Einführung
Es riecht nach Wald – Phytonzide
Grüne Umgebung und unsere Gesundheit
Praktische Anwendung
Wenn der Wald weiter weg ist…
Fazit
Auf einen Blick


Einführung


Waldbaden klingt erstmal merkwürdig. Der Begriff leitet sich von dem japanischen „Shinrin Yoku“ ab, was wörtlich übersetzt „Eintauchen (mit allen Sinnen) in die Waldatmosphäre“ bedeutet. In Japan ist das Shinrin Yoku fester Bestandteil des staatlichen Gesundheitssystems, gilt als effektive Stress-Management-Methode und ein mehrtägiger Waldaufenthalt ist sogar auf Rezept erhältlich. An den Universitäten in Japan wurde 2012 der Forschungszweig „Waldmedizin“ eingerichtet, zahlreiche Studien belegen die Wirksamkeit auf Gesundheit und Psyche.


Wir erleben gerade eine deutliche Zunahme an stressbedingten Krankheiten, viele Menschen haben den Kontakt zu sich selbst und zu dem, was ihnen guttut, verloren. Waldbaden kann hier messbar helfen. Diabetes, Bluthochdruck, Immunsystem, Krebs, Rehabilitation nach OPs – bei all diesen Krankheitsbildern kann der Wald unsere Medizin sein. Es ist einfach, macht Spaß und stärkt die Selbstverantwortung.


Es riecht nach Wald – Phytonzide


Pflanzen kommunizieren miteinander und warnen sich u.a. gegenseitig vor Fressfeinden. Was wir in der Waldluft riechen und wahrnehmen, sind Substanzen, die von Pflanzen abgesondert werden. Unter dem Sammelbegriff Phytonzide gibt es Zehntausende verschiedene Substanzen. Die wichtigste Untergruppe sind die Terpene. Die Konzentration der Terpene in der Luft hängt von Temperatur und Jahreszeit ab. Im Sommer ist die Konzentration am höchsten.


Japanische Forscher fanden in einer Studie heraus, dass das Einatmen der Terpene das Immunsystem anregt. Dazu wurden Versuchsteilnehmer für drei Nächte in verschiedenen Räumen untergebracht, in denen teilweise Terpene zerstäubt wurden. Die Teilnehmer, die nachts die Terpene eingeatmet hatten, wiesen anschließend deutlich mehr Immunzellen im Blut auf. (1) (2)


Je länger Menschen die terpenhaltige Luft im Wald einatmen, desto größer ist der Effekt auf das Immunsystem. Ein Tag im Wald steigert die Killerzellen im Blut um fast 40 %, und das für etwa eine Woche. Zwei Tage im Wald steigern die Killerzellen um 100 %, was bis zu einem Monat anhält. Bestimmte Untergruppen der Terpene können unter Laborbedingungen sogar Krebszellen abtöten.


Ein anderer Immunbooster im Wald ist der Kontakt mit verschiedenartigen Mikroorganismen, die über Atemluft und Hautkontakt in unserem Körper landen. So kann das Immunsystem trainieren. Da viele dieser Terpene der Abwehr von Fressfeinden dienen, können sie auch in unserem Körper gegen pathogene Mikroben wirken. Wir kennen diesen Mechanismus von vielen Pflanzenwirkstoffen.



Grüne Umgebung und unsere Gesundheit


Auf dem Land lebt es sich gesünder als in der Stadt, und zwar psychisch und physisch. Der Stresspegel in der Stadt ist deutlich höher, ausgelöst durch Lärm, Feinstaub und eben auch fehlendes Grün.


Schon 1984 veröffentlichte der skandinavische Forscher Roger Ullrich eine Studie, in der er zeigen konnte, dass die Erholung von Patienten in einem Krankenhaus, dessen Zimmer auf einen Park und Bäume ausgerichtet waren, deutlich schneller und besser ablief. Patienten, die auf eine Betonwand schauen mussten, hatten einen langsameren Heilungsverlauf. (3)


Eine andere Studie aus dem Jahr 2018 untersuchte die psychische Gesundheit von Einwohnern in Philadelphia/USA. Die Studienteilnehmer wurden in drei Gruppen unterteilt. Gruppe 1 sollte alle Grünflächen säubern, einige Bäume anpflanzen, Beete und Gras pflegen und in Stand halten. Gruppe 2 sollte nur die Flächen säubern und Gruppe 3 hatte nichts zu tun. Nach 18 Monaten reduzierte sich in der 1. Gruppe Stress von 34 auf 23 % und Depressivität von 15 auf 10 %. Bei den beiden anderen Gruppen gab es kaum Veränderungen. Die Beschäftigung mit dem „Grün“, sinnvolle Arbeit, Erdung und die sichtbare Verschönerung der Umgebung spielen hier zusammen. (4)


Selbst die Sterblichkeit hängt mit der Nähe von Grünflächen zusammen. Forscher untersuchten Gesundheitsdaten von knapp 350000 Menschen und die Nähe ihrer Behausung zu Grünflächen. Die Ergebnisse zeigten, dass die Sterblichkeit um 20 % sank, wenn sich innerhalb eines Kilometers der Wohnung Grünflächen befanden. (5)


In Toronto/Kanada wurde gezeigt, dass die Gefahr, von Diabetes, Bluthochdruck oder Herz-Kreislauf-Erkrankungen betroffen zu sein, mit der Anzahl der Bäume in der Umgebung sank. Die Autoren folgerten, dass zehn Bäume mehr um einen Wohnblock den Gesundheitsstatus der Bewohner um bis zu sieben Jahre verjüngen können. (6)


Die Universität Heidelberg untersuchte, ob sich Menschen in einer Stadt besser fühlen, wenn sie im Grünen sind. Dazu wurden die Studienteilnehmer 10–15-mal pro Tag digital nach ihrer Stimmung befragt, während ihr Standort per GPS festgehalten wurde. Die Stimmung war deutlich besser, wenn die Teilnehmer im Grünen waren.


Und auch bei der Messung der Hirnfunktion mittels funktioneller Hirn-Kernspintomografie zeigte sich, dass gerade stärker gestresste Menschen von einem Aufenthalt im Grünen profitieren und weniger negativen Emotionen ausgesetzt waren. (7)


Der japanische Doktor des Waldes Qing Li fand anhand von Bluttests heraus, dass die Produktion von DHEA durch Waldspaziergänge angeregt wurde. DHEA ist das am häufigsten vorkommende Steroidhormon im Körper, aus dem der Körper bei Bedarf männliche oder weibliche Hormone bildet und das auch den Cortisolspiegel reguliert. Es gilt als Anti-Stress-Hormon. DHEA ist an der Regulierung des Blutzuckerspiegels beteiligt, kann anti-depressiv wirken, die Fettverbrennung anregen und auch eine Wirkung bei Schizophrenie und Alzheimer wird angenommen. Über DHEA könnte man einen eigenen Artikel schreiben…(8)



Praktische Anwendung


Waldbaden oder Shinrin Yoku ist mehr als ein Spaziergang, wobei auch der schon sehr positive Effekte auf Gesundheit und Psyche hat. Es geht um das Eintauchen und bewusste Einsetzen aller Sinne. Ein Erleben im Wald, abseits der großen Wege – mit der Achtung vor der Natur und ihren Bewohnern.


Studien zeigten, dass besonders die Baumkronen den gesundheitsfördernden Effekt erzielen, im Gegensatz zu Büschen und Rasenflächen. Baumkronen haben eine wesentliche Filterfunktion für Feinstaub, Luftqualität kann hier eine Rolle spielen. Die natürliche Stille – im Gegensatz zu menschengemachtem Lärm – entspannt das System. Vogelzwitschern kann zwar auch laut sein, trifft aber einen anderen Nerv.


Der Waldcoach Jörg Meier hat z.B. ein Sieben-Schritte-Programm erstellt. Dazu wählst du im Wald sieben Bäume aus, die dich intuitiv ansprechen und zu deinem persönlichen Heilweg werden. Jeder der sieben Bäume steht für einen Bereich: Motivation, Körper, Mentale Stärke, Liebe, Familie, Erkenntnis oder Wunsch. Diese Bäume können einzeln oder nacheinander besucht werden. So ein Eintauchen und in Berührung gehen sollte ca. vier Stunden dauern. Wobei man im Wald natürlich auch mehr Zeit verbringen kann.


Du kannst dich auch im Wald mit einer Decke hinsetzen, vielleicht an einen Baum lehnen oder dich auf den Waldboden legen. Handy aus. Und dann absichtslos die verschiedenen Sinne spielen lassen. Was hörst du? Was siehst du? Was riechst du? Was fühlst du? Und vielleicht ist da auch etwas Essbares, was du schmecken kannst. Nimm dir eine Auszeit von ein paar Stunden und tue nichts. Lass dich ein auf die Eindrücke, berühre oder umarme einen Baum und spüre seine Energie, spüre, was es mit dir macht. Das kann ein Kribbeln im Körper sein, eine Wärme, ein Gefühl von Geborgenheit – spüre den Wald um dich und deinen Körper, deine Gefühle. Wie erlebst du die Stille und das Nichtstun? Das kann auch eine spannende Erfahrung mit einem Partner oder mit den Kindern sein. Wie verändert sich der Wald im Reigen der Jahreszeiten? Wahrnehmen, eintauchen. Kein Aktionsprogramm.



Ältere Menschen profitieren vom Waldbaden so sehr, dass es von der Bundeszentrale für gesundheitliche Aufklärung ein Waldtrainingsprogramm für Heimbewohner gibt. Rund 100 Pflegeeinrichtungen nehmen daran teil. Es werden motorische Übungen mit Denkaufgaben verknüpft. Ältere Menschen, die bereits körperliche und kognitive Einschränkungen haben, zählen beim Waldspaziergang beispielsweise Vogelarten auf. Zweimal pro Woche für eine Stunde gehen die Senioren so in den Wald. Bereits nach einigen Monaten zeigen sich gesundheitliche Veränderungen bei Gleichgewicht, Ausdauer, Aufstehen und Gehen. Kognitive Verbesserungen und Förderung der Selbstständigkeit sind weitere positive Auswirkungen. (9)


Auch das kann man als Familie zusammen machen, wovon Senioren und Kinder gleichermaßen profitieren. Manch Oma oder Opa weiß etwas über Pflanzen, Heilkräuter oder Bäume und sie können ihr Wissen weitergeben, damit aktiv bleiben und dabei auch ihre Gesundheit und ihre kognitiven Fähigkeiten fördern. Das Erleben zusammen kann eine Bereicherung für alle sein und manch langweiliges Kaffeekränzchen ersetzen.


Wenn der Wald weiter weg ist…


Nicht jeder hat gleich einen Wald um die Ecke. Studien aus Japan konnten zeigen, dass das Betrachten von einer Waldszenerie auf einem Fernseher schon nach 90 Sekunden zu einem gravierenden Absinken der Stresshormone im Blut führte.


Es gibt auf Youtube viele Entspannungsvideos mit Waldszenen, Vogelgezwitscher oder Bachrauschen. Hier kann jeder individuell etwas finden, was entspannender wirkt als das Überprüfen von neuen Chatnachrichten. Wenn 90 Sekunden bereits positiv auf die Stresshormone wirken, können zwei Minuten „Waldgucken“ pro Stunde ein stressfreieres Arbeiten ermöglichen. Wäre ein Versuch wert, ggf. in Absprache mit dem Chef…


Auch zuhause kann ein Bild von Bäumen oder einer Waldlandschaft hilfreich sein, quasi als Entspannungsanker. Es gibt auch spezielle Raumsprays mit Waldduft oder Shinrin Yoku. Bitte auf Zusatzstoffe achten! Wer entspannende Geräusche mag, kann mit Regentropfen auf Blättern oder Vogelgezwitscher experimentieren. Versuche zeigten, dass dies angstlösend und stimmungsaufhellend wirken kann. In Warteräumen von Arztpraxen und Firmen wird so etwas schon eingesetzt.



Fazit


Erkunde doch mal einen Wald in deiner Nähe. Gerade Menschen, die bereits unter Stress leiden, sich von einer Krankheit erholen oder depressiv sind, können vom Waldbaden profitieren. 


Und ganz einfach: Es ist schön im Wald, es tut gut, es erdet, es verbindet. (10) (11)

Auf einen Blick



  • Shinrin Yoku bedeutet Eintauchen (mit allen Sinnen) in die Waldatmosphäre

  • Waldbaden hat positive Effekte bei Diabetes, Bluthochdruck, allen stressassoziierten Krankheiten und sogar Krebs

  • Der Blick ins Grüne beschleunigt und verbessert Heilung nach medizinischen Eingriffen

  • Terpene regen das Immunsystem an

  • Grünflächen/Bäume in der Nähe der Wohnung wirken stimmungsaufhellend und lebensverlängernd

  • Waldbaden in Verbindung mit kognitiven Übungen hilft Senioren

Weitere spannende Artikel

ZUR BEITRAGSÜBERSICHT