Heilpraktikerin

Einführung


In der Forschung ist umstritten, wie weit mentale Vorgänge den Vorgang der Sinneswahrnehmung beeinflussen. Treffen neutrale Sinneseindrücke auf unser Gehirn und werden dort erst verarbeitet und interpretiert oder verändert unsere mentale Einstellung schon die Wahrnehmung selbst? Es geht also um die Unterscheidung zwischen der reinen Sinneswahrnehmung und der Verarbeitung der Reize im Gehirn. Forscher versuchten mit Hilfe von Hypnose den Beweis zu finden, dass mentale Prozesse die Wahrnehmung selbst verändern können.


Wahrnehmung und Bewusstsein hängen zusammen. Wenn uns mental bewusst ist, wie unsere Wahrnehmung funktioniert und durch was sie verzerrt werden kann, können wir das auf einer höheren Ebene bewusst hinterfragen, beobachten und überprüfen. Ergebnisse einer Studie und wie uns das für bewusstes Wahrnehmen und Er-leben weiterhilft.


Sinneswahrnehmung


Unsere Sinnesorgane und unser Nervensystem arbeiten zusammen. Über unsere Sinnesorgane nehmen wir mit Hilfe unserer Sinneszellen Reize aus der Welt um uns herum auf. Diese Reize werden in elektrische Signale umgewandelt und über sensorische Nervenzellen an das Gehirn weitergeleitet. Das Gehirn verarbeitet diese Signale, die bewusst und unbewusst aufgenommen werden, zu einem sinnvollen Gesamteindruck – der in unsere persönliche Welt passt. Das Gehirn ergänzt dabei eventuelle Lücken aus seiner Erfahrung aus der Vergangenheit und gleicht die Sinneseindrücke mit vorhandenen Daten ab.


Zum Beispiel stellt das Gehirn automatisch die vertauschten Buchstaben im folgenden Satz richtig dar:


Für das Vhetesren eiens Txeets knöenn die Bhsbtecuan der enielznen Wterör in bgeieeiblr Rgineholfee aornngedet sien. (1)


Studie zum Tastsinn


An der Ruhr-Universität Bochum wurde ein Experiment zum Tastsinn durchgeführt. 24 Testpersonen wurde unter Hypnose suggeriert, dass ihr Zeigefinger fünfmal größer als in Wirklichkeit sei, dann fünfmal kleiner als in Wirklichkeit, dann erhielten sie eine suggestionsfreie Hypnose und in einer Kontrollbedingung fand keine Hypnose statt.


Die Studienteilnehmer sollten daraufhin ihre Zeigefinger auf eine Vorrichtung legen. Dann wurden sie mehrfach mit zwei Nadeln gepikst – schmerzfrei. Der Abstand, den die zwei Nadeln zueinander hatten, variierte von 0,7 bis 2,5 Millimeter. Die Testpersonen sollten mitteilen, ob sie eine oder zwei Nadelstiche spüren konnten.


Wenn einem Studienteilnehmer suggeriert worden war, sein Zeigefinger sei fünfmal größer als in Wirklichkeit, war er besser darin, zwei getrennte Nadelstiche wahrzunehmen. Bei der Annahme, der Finger sei fünfmal kleiner als in Wirklichkeit, verschlechterte sich die Wahrnehmungsfähigkeit. Eine Hypnose ohne Suggestion führte zu keiner veränderten Wahrnehmung.


Hatte sich eine Versuchsperson einen deutlich größeren Finger vorgestellt, so war sie besser darin, zwei getrennte Stiche wahrzunehmen. Hingegen verschlechterte sich die taktile Empfindlichkeit, wenn ihr suggeriert worden war, ihr Finger wäre kleiner. Allein die mentale Einstellung hatte somit den Tastsinn verändert. Bei reiner Hypnose ohne Suggestion stellte sich keiner dieser Effekte ein. Die Forscher untersuchten die Hirnprozesse der Teilnehmer während der Versuche mit einem EEG (misst die elektrische Aktivität des Gehirns). Dadurch konnte gezeigt werden, dass sich bei der Suggestiv-Hypnose die elektrischen Potentiale verändern, die mit Aufmerksamkeit und Erwartungen zusammenhängen. (2) (3)


Was heißt das jetzt?


Die wenigsten von uns werden mit zwei Nadeln in den Finger gestochen, um die Wahrnehmung zu testen. Die Hypnose in dieser Studie schaffte gleiche Bedingungen für die Teilnehmer, um schlüssige Beweise zu sammeln.


Was in dieser Studie sehr abstrakt wirkt, hat in unserem Leben tiefgreifende Auswirkungen. Wie Pippi Langstrumpf schon sagte: „Ich mach mir die Welt, wie sie mir gefällt“. Unser Hirn macht das für uns allerdings, ohne dass wir das immer mitbekommen. Die Krankheit Magersucht ist ein eindrucksvolles Beispiel, wie Fehlwahrnehmung die Gesundheit gefährden kann. Patienten sind überzeugt davon, dass sie zu dick sind, obwohl sie ihren dünnen Körper in einem Spiegel sehen können. Für sie ist der Körper faktisch zu dick.


Das Gemeine dabei ist, dass die Software in unserem Gehirn in unserem Unterbewusstsein versteckt agiert und wir so gar nicht wissen, wo die eine oder andere Wahrnehmung verzerrt wird.



Bewusstsein ist der Schlüssel


Bewusstwerdung kann helfen, Wahrnehmung zu überprüfen oder auch mal in Frage zu stellen. Allein durch das Wissen, dass diese Verzerrung bei jedem stattfindet, kann man aus der Beobachterposition eine objektivere Sicht der Dinge üben. Beobachten heißt, ich sehe die Situation und mich und ggf. andere Beteiligte von außen. Je nach Situation kann ich überlegen, ob eine kindliche Prägung oder ein späteres Erleben meine Wahrnehmung verfälscht.


Eine unbewusste Bewertung – ob positiv oder negativ – verändert unsere Sinneswahrnehmung. Manches wird ausgeblendet, manches wird überbetont. Wenn mehrere Menschen das gleiche Sehen oder Hören, nimmt jeder etwas anderes wahr. Jeder lebt buchstäblich in seiner eigenen Welt. Das ist vielleicht nicht wirklich neu. Aber durch die Messungen und Ergebnisse der Forscher konnte gezeigt werden, dass die Wahrnehmung selbst schon durch Gedanken beeinflusst wird.


Es ist eine Erinnerung, mal wieder bewusst hinzuschauen – sich Zeit zu nehmen, was da wirklich ist. Auch mal Wahrnehmung bewusst zu überprüfen. Anderen zuzuhören, die etwas anderes wahrnehmen. In sich hineinzuhorchen, was da gerade stattfindet.


Meditation kann helfen, innerlich einen Schritt zurückzugehen, indem sie allem erstmal Raum gibt. Die Erlaubnis zu existieren. Alles darf sein, Bewertung findet in diesem Moment nicht statt. Wahrnehmung kann so „entknotet“ werden, die alte Software bekommt ein Update. Die Sinne werden wieder neu-gieriger und wir können uns weiter-ent-wickeln.


Oder wir üben jeden Tag fünf Minuten achtsame Wahrnehmung. Lauschen mal bewusst, was gerade da ist. Gehen mit offenen Augen durch die Straße, in der wir wohnen. Spüren und erkunden mit unseren Händen einen Baum oder fühlen die ersten Sprosse im Frühling. Spüren Regentropfen auf unserem Gesicht – oder die Wärme der Sonne. Nehmen uns Zeit beim Essen und riechen und schmecken, was wir da zu uns nehmen.


Je bewusster wir sind, desto vollständiger wird unsere Wahrnehmung und unsere Wirklichkeit – und umso mehr sind wir verbunden mit allem.

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